Das Navi zeigte an, dass wir nur noch wenige Minuten vom Schlachthof Grandits in Niederösterreich entfernt waren. Die letzen zwei oder drei Kilometer fuhr ein mit Kühen beladener Tiertransporter vor uns her. Ein weiteres Indiz, dass ich nun kurz davor stand an meiner ersten Vigil teilzunehmen. Ich konnte meinen Herzschlag bis in den Hals spüren.
Jeden zweiten Freitag im Monat organisiert Vienna Animal Save ein sogenanntes Vigil, eine Mahnwache für Rinder und Schweine, um ihnen auf ihrem letzten Weg beizustehen und zu dokumentieren was hier täglich im Minutentakt weltweit passiert.
Für mich war es nicht nur das erste Mal, dass ich an einer Mahnwache teilnahm, sondern auch das erste Mal so nahe vor einem Schlachthof zu stehen. Nur ein paar Schritte vor einem derart furchtbaren Ort zu stehen, war extrem hart. Ich konnte spüren wie mein Gehirn und mein Körper auf diese Stresssituation reagierten und versuchten das was ich sah, hörte und fühlte einzuordnen und zu verarbeiten.
Was passiert bei einer Vigil?
Wir standen am Eingang zum Schlachthofgelände und warteten auf die Tiertransporter die oftmals im minutentakt durch das Tor durchfahren, um die Tiere zur Schlachtung zu bringen.
Bevor die Fahrer durchfahren, wurden sie von einer Tierrechtsaktivistin freundlich gebeten anzuhalten und gefragt, ob wir einen Blick in den Transporter werfen und mit den Tieren Kontakt aufnehmen dürfen. Viele blieben stehen, viele fuhren einfach weiter. So sehr wir uns oft fragten, was das wohl für Menschen sein müssen, die ihre Tiere hier abliefern können, begegneten wir ihnen freundlich und friedlich. Das Leid der Tiere in dieser Maschinerie ist natürlich indiskutabel, aber man darf nicht vergessen, dass diese Menschen ebenfalls Teil des Systems sind und es manchmal auch gelingt Landwirt*innen zum Nach- und Umdenken anzuregen. Immer mehr Beispiele zeigen, dass viele aussteigen wollen und nicht mehr so weitermachen möchten.
Wenn die Rampen aufgingen oder wir durch die Gitterstäbe in den Truck schauen durften, dann fühlte es sich an als wenn dir jemand in den Magen tritt. Gerade wir, mit unseren offenen, verwundbaren Herzen standen hier auf Augenhöhe mit diesen wunderschönen Tieren. Wir sahen ihnen in die Augen, sprachen ein paar letzte liebevolle Worte durch die Gitterstangen bevor wir sie schließlich durch das Tor zur Abladerampe fahren lassen mussten auf ihrem letzten Weg. Wir schluckten die Gefühle so gut es ging für den Moment runter, trösteten uns und wischten Tränen weg, um uns wieder darauf zu fokussieren das zu dokumentieren was wir hier erlebten.
In Österreich alleine wurden 2019 eine halbe Million Rinder und über 5 Millionen Schweine geschlachtet. Nur in Österreich alleine. Das ist purer Wahnsinn! Aber wo sind diese Tiere alle? In der Werbung wird einem als Konsument*in gut zugeredet, dass alle Tiere paradiesisch schön auf der Alm in Frischluft und von saftigem Gras leben, bevor sie dann ganz sanft zu Tode gestreichelt werden. Ganz bewusst sind diese Tiere natürlich längst aus dem Blickfeld der Konsument*innen verschwunden. Ganz bewusst wird die Verbindung und Empathie diesen Lebewesen gegenüber gekappt, denn tatsächlich vegetieren sie in dunklen Ställen, oftmals ihr Leben lang angebunden oder in Kastenständen auf kalten Vollspaltböden in ihrer eigenen Scheisse dahin. Bis der Transporter kommt, sie abholt und dort hinbringt wo ich mit meinem Schild nun davor stand.
Wenn nicht wir, wer dann?
Kurz bevor ich an der Vigil teilnahm, fragte ich mich, warum eigentlich ich die ohnehin schon vegan lebt und die das mit voller Wucht ins Herz treffen wird, sich dort hinstellen und dem Tod und dieser unfassbaren Ungerechtigkeit direkt in die Fratze schauen soll?
Ich tat das, weil wir Menschen die hinschauen ihre einzige Hoffnung sind. Die einzige Chance auf ein paar liebevolle Gesten und Worte des Mitgefühls. Eine stellvertretende Entschuldigung zu geben für das was sie durchleben mussten und für das Grauen das ihnen gleich noch bevorsteht. Wir sind auch die einzige Chance darauf das zu dokumentieren und zu teilen, was passiert. Den nummerierten Tieren einen Namen zu geben und ihre Geschichte zu erzählen. Andere Menschen so zu motivieren einen Schlussstrich unter ihren Fleisch- und Milchkonsum zu setzen und dafür nicht mehr zu bezahlen.
Elvira von Vienna Animal Save hat es mit so wundervollen, traurigen Worten beschrieben, die ich hier wiedergeben möchte:
The animals need us to show them a moment of love and comfort on their final way.
We were there for them.
We did this for them.
Veratwortung übernehmen – jetzt!
In Zeiten wie diesen wo man nur einen Klick von jeglicher Art der Information entfernt ist, lasse ich es nicht mehr gelten wenn jemand behauptet von diesen Umständen und Zuständen nichts zu wissen. Österreichische Kälbchen im Tiertransportwahnsinn bis in den Libanon, 1000 COVID-19 Infizierte am Tönnies Schlachthof, Schweine die man am Betonboden dahinvegetieren lässt – all das hat den Weg bis in fast jede Tageszeitung und Nachrichtensendung gefunden. Wer nichts wissen will, entscheidet sich bewusst dafür.
Lebt ihr vegan oder noch nicht vegan – nehmt unbedingt einmal an einem Vigil mit Vienna Animal Save teil! Es wird hier niemand verurteilt oder mit dem Finger auf jemanden gezeigt, wenn man noch nicht so weit ist. Denn es geht hier nicht um uns. Es ist eine warmherzige Gruppe an AktivistInnen, die etwas ihrer Wärme an einen sehr kalten Ort bringt. Ihr habt die Chance eure Augen und eure Herzen zu öffnen, viel zu lernen und einen Vormittag für die Tiere da zu sein. Es ist so wichtig das zu sehen, zu verstehen und seine Konsequenzen daraus zu ziehen.
Wir müssen das nicht tun. Wir müssen andere das nicht für uns tun lassen. Menschen fliegen ins Weltall und wir beharren darauf ständig Tierfleisch essen zu müssen wie die Menschen im Mittelalter? Geh bitte! Tiere zu essen zerstört den Planeten. Wenn ihr Kinder habt verändert euch für sie. Unsere Eltern werden die Klimakrise in ihrem vollen Ausmaß nicht mehr erleben. Wir schon. Unsere Kinder und Kindeskinder werden auf einem toten Planeten ums Überleben kämpfen, wenn wir und die Politik nicht schleunigst etwas unternehmen.
Es gibt so viele Gründe die für einen veganen Lebensstil sprechen. Das Wichtigste ist anzufangen und zwar jetzt! Bewegt euch in diese Richtung, aber bewegt euch. Die Info ist da, lassen wir die Ausreden hinter uns! We can do it! You can do it!
Quelle:
Ich weine. Danke, dass du das machst und davon erzählst. – Und dass auf dem Blog wieder etwas zu lesen ist. Ich schaue hier aus alter Gewohnheit immer mal wieder vorbei, und habe mich sehr gefreut.Auf jeden Fall warst du und der Blog auch ein wichtiger Begleiter auf meinem Weg zur Veganerin. Auch dafür danke.
Vielen Dank für deine lieben Worte! <3
Schön, das auf Deinem Blog wieder was zu lesen ist.Solche Mahnwachen sind unglaublich anstrengend, geistig, psychisch, körperlich. Es sind Lebewesen auf dem Weg zum ‘Getötet werden’. Kaum ein Mensch macht sich die Mühe eines Gedankenmodells, indem es Tiere in diesem Modell durch Menschen ersetzt. Bei den Meisten setzt an dieser Stelle die Rationalisierung ein (Abwehrmechanismus).Sicher, die Transporteure sind Teil dieses Systems. Der Mensch hat jedoch die Wahl, so einen Job anzunehmen oder abzulehnen. Dasselbe gilt für die Tierversuchsbranche. In solchen Branchen arbeiten Menschen ohne Reflektieren, solche mit massiven Abwehrmechanismen, solche mit fehlender Empathie.Wer ernsthaft aufhören / aussteigen will, wird es auch tun. Wer es ernst meint und aus dem System aus Job-Gründen nicht herauskommt, wird an dem System zerbrechen, da er seinen Geist geöffnet hat.